Warum es so toll ist, falsche Sachen oder Unsinn zu glauben: Michiko Kakutani, The Death of Truth
Eigentlich ist das alles gerade so, wie es hier links daneben steht. Man kann sich zwar innigst darüber streiten, ja ineinander verbeißen, ob man überhaupt und ggf. wie herausfindet, was ist oder nicht ist, aber das ändert erst einmal nichts an der Sachlage. Sollte man meinen. Ist auch so. Interessiert aber kein Aas. Weil einfach, und Einfaches langweilig oder - schlimmer - wenig bequem. Vielleicht deswegen und außerdem hat die Philosophie und mit der üblichen Verspätung (dauert ungefähr so lange, wie es dauert, daß sich die Mutter aller Wissenschaft in Teilen schon wieder ins Gegenteil umorientiert hat, ohne sich jemals über die erste Abwendung einig gewesen zu sein) der ganze lemminghafte Rest lange, ganz lange um die Abschaffung der Wahrheit gerungen. Und jetzt hat man den Schlamassel.
Ungefähr das, aber viel schöner und besser, und noch viel mehr steht in dem ausnahmsweise neuen und fein kleinen Buch der sehr verehrungswürdigen Frau Kakutani -- die naturgemäß nicht eigentlich "vom Fach" ist, sondern die ehemalige Oberliteraturkritikerin der durchaus hoch zu schätzenden New York Times. Weil es aber öde ist, wirklich tolle Bücher zu loben, indem man sie nacherzählt, hier noch ein paar unvorgreifliche Bemerkungen, die vielleicht die entitäteneigene Überschrift erklären.
Das skandalöse Fehlen elektrischer Mönche
Sie hat - und so auch Frau Kakutanis Buch - mit dem Bobbolismius zu tun, der sich in ihrem Fall, um's passend zur Nacht vor Allerheiligen zu sagen, zusammen mit einem kürbisfarbenen und zuckerwattefrisierten Unheil auch über ihr Land gelegt hat. Das ist aber nur ein Beispiel. Denn gelten tun Frau Kakutanis Beobachtungen durchaus allgemein (ebenso wie die vom sehr lesenswerten Timothy Snyder, The Road to Unfreedom: Russia, Europe, America, übrigens). Dabei ist das, wie das oft so mit der an sich insgesamt eher unaufregenden Wahrheit ist, "scho' au' irgendwie" (J. Löw) bekannt, weil das Büchlein eigentlich vor allem die Geschichte der immer noch weiter fortschreitenden, immer noch subjektiver werdenden Subjektivierung und gruppenbezogenen Parzellierung, ja Verschrebergärtnerung der Wahrheit erzählt und einige momentan besonders auffällige Folgen davon beschreibt.
Weil: es ist ja nicht nur so, daß man irgendwann angefangen hat, doof zu finden, daß man die Wahrheit von Sätzen an der Wirklichkeit - den sog. "Fakten", die jetzt, wo man merkt, daß man sie irgendwie vorgestern verloren, besser: verschlampt hat, wieder in aller Munde sind - überprüfen kann. Nein, man ist sogar triumphal noch einen Schritt weiter. Denn genaugenommen findet man es sogar doof und allgemein hinderlich, daß ein Satz - egal, was er sonst noch Großartiges zu besagen vorgibt - gar nicht wahr (und also noch nicht einmal falsch) sein kann, wenn er sich selbst widerspricht, einen oder gleich mehrere Widersprüche enthält oder wie man, um ausnahmsweise einen Fachausdruck zu gebrauchen, Unsinn noch so beschreiben kann. Mit anderen Worten: Logik muß auch weg, weil Rumlaber- und also Spaßbremse.
Und da liegt, wenn schon nicht der ganze Hase, so doch vielleicht ein besonders delikater Teil davon (etwa die Leber), im Pfeffer. Größtmöglichen Unsinn zu glauben macht Spaß, und irgendwie zu bewirken, daß ihn auch noch andere glauben, macht mehr Spaß. Warum ist das so? Man möchte biblisch werden: Es scheint an der allüberall gegenwärtigen Eitelkeit zu liegen. Denn etwas zu wissen, was sonst überhaupt gar niemand niemals nicht (Obacht! Verstärkende Mehrfachverneinung.) wissen kann, spricht nur für extrem langweilige Entitäten sehr dafür, daß das dann wohl wieder ein Unsinn sein wird. Für total offene und ein- oder mehr- oder vielseitig aufgeschlossene Leute, die aber einen Grimm über eine gefühlt schlechte Situation mit sich herumtragen, an der sie keinesfalls selber schuld sein dürfen, klingt das im Gegenteil nach Eingeweihtheit und Wahrheit für die wenigen. Und in deren Besitz zu sein, ist eine Auszeichnung, dokumentiert die eigene Schlauheit und ist insgesamt supertoll.
Freilich, wenn man Fakten entweder gar nicht mehr anerkennt und ignoriert oder lieber mit alternativen Fakten hantiert, gerät man in sogenannte Rechtfertigungs- und Beweisprobleme und überhaupt in ungute Nähe zu kontroversen Diskussionen, sachbezogenen Meinungsverchiedenheiten, der Realität gar oder ähnlich lastigem Zeugs. Dies aber ist unbedingt zu vermeiden, weil's am Komfort und der Überlegenheit der eigenen Einsicht ins Geheime, ins große Mysterium des ganz echtiglich wirklich Wahren, das sonst keiner (außer denen, die genauso schlau und ganz lieb sind, die Erwählten halt) weiß, am Flauschedeckchen um den eigenen Kopf oder dem Alufolienmützlein drauf zupft. Und dann zieht's 'rein, und man bekommt am Ende vielleicht noch eine Rationalitätserkältung, praktisch Kopfgrippe.
Das ist nicht gesund und seeeehr gefährlich. Warm viel besser. Also glaubt man - was immer man sich auch, jetzt gleich unbedingt glauben zu mögen, in den Kopf gesetzt hat (erinnert sich eigentlich noch jemand daran, daß die Menschheit genau dafür in fernerer Zukunft einmal elektrische Mönche wird erfunden haben?) - eben gerade nicht mehr mit dem Kopf, sondern, wie's immer so schön heißt, mit dem Bauch. Ein Gefühl nämlich kann nicht widerlegt werden. Es ist einfach da, und es ist so subjektiv, privat nachgerade, wie etwas nur sein kann. Sitzt die Wahrheit auf dem hohen Roß des Gefühls (vulgo: Emotionalität, z.B. Empathie o. Mitgefühl, Antipathie o. Abneigung, neuerdings gerne: Haß, Empörung usw.), ist sie unangreifbar. Aber halt auch gar keine Wahrheit mehr - so echt und tiefempfunden das Gefühl auch sein mag. Denn: Wahrheit Eigenschaft von Sätzen, die nicht Unsinn sind. Gefühl kein Satz. Sondern etwas, über das man möglicherweise wahre Sätze bilden könnte (wenn man denn unbedingt will und meint, daß das irgendjemand interessiert).
Vielleicht sollte man das den Leuten einfach sagen. Und selbst auf die Ventilation und allerlei Übetragungsversuche von Erregungs- bzw. Gefühlzuständen verzichten. Die Emotion aus dem Bereich des Wahren oder Falschen verbannen, und eben nicht umgekehrt. Aber das wird dann vielleicht auch gar niemand mehr interessieren, weil langweilig, und dann kauft oder finanziert anderweitig vielleicht keiner mehr ein mediales Erzeugnis oder wählt eine Person, die eine öffentliche sein möchte - was auch schon beinah' wieder dasselbe ist. Vielleicht aber auch nicht, und es ändert sich einfach nur irgendetwas.
Vielleicht sollte man den Leuten einfach sagen, daß Langeweile eigentlich etwas sehr Schönes ist. Man kann derweil nämlich etwas anderes machen, als sich bis zum Stirnadernplatzen anzustrengen, Käse zu glauben, oder sich schlicht, aber sehr gepflegt, eventuell gar in angenehmer Gesellschaft langweilen.