Eine simple Verirrwirrung
Also zuerst einmal: Weg vom Essen. So unschön das ist - doch umso schöner wird die Wiederkehr. Dafür: Hin zu den Gröbelungen! Ist auch unschön, aber nicht besonders schlimm.
Nun könnte man, und in Sonderheit der durchschnittliche Sprach-ver-ro-hungsfeststellungsüberlehrer, ja meinen, daß die dem Übel der Ver-ro-hung anheimgefallene Sprache sich insbesondere durch ihre auffällige Gröbe, ja Saugrobheit ("Fliegenschiß", "Bettnässerei", Quellen bek.) auszeichne. Doch es scheint der Entität, das schiene nur so und sei vielleicht ein bißchen, "ein Stück weit" (Quelle ubiquitär) ganz anders. Etwas aus der Mode gekommene Hilfe aber ist stets nah. Denn: "Hahaaa - nobody expects the Spanish inquisition!" (M. Python), und ein bißchen Inquisition ist oft, ja oftermalen "scho' au'" (J. Löw) ein gar trefflich Remedium gegen blitzreaktiven Überlehrerbildungspathosbibber. Könnt's nämlich nicht eventuell sein, daß "roh" und "grob" - man ahnt es schon bei der Leberwurst - nicht dasselbe, mithin verschieden sind?
Röhe und Gröbe - eine empirisch-anekdotische Kurzmeditation
Wohnt man watscheldistanz- und demnach irgendwie entitätenangemessen (nicht: -gerecht, aber ein schnieker Landsitz mit Brauerei-, Metzgerei- und Wirtshausanschluß ist halt nicht drin) und insgesamt recht schön in den innersten Innereien einer Stadt an einem verkehrstechnisch mysteriösen Sträßlein (Einbahn, Fährräder in beide Richtungen, etliche Gaststätten mit ganzjährigen und auf die Straße ragend angebastelten, sog. "Freisitzen" und entsprechendem, mal mehr, mal weniger wackligen Publikumsverkehr) lassen sich, ob man das immer mag oder nicht, immer sehr gut die öffentlichen Verhaltensweisen der allzeit hochzurespektierenden Mitmenschen studieren; vor allem in den langen Sommern, wenn das Arbeitszimmerfenster offensteht und gerade aufgrund des Spielzeitendes der routinemäßig zum Schutz vor unstrukturierten, aber freilich hochzurespektierenden Mitmenschengeräuschen errichtete Wall durch Schlagzeug, Bass und Gitarre anheimelnd viervierteltaktlich strukturierten Klangs einmal aussetzt. Dann nämlich lassen sich immer einmal wieder und jedenfalls mehrmals täglich gar greuliche Beschimpfungen, Unflätigkeiten in der Tat, also degoutante Injurien praktisch, hören, die in zwar eminent unmelodischem Dialekt, aber doch wohlverständlich stets aus Autofenstern heraus oder von Fahrradsätteln herunter am liebsten von Mittfünzigern (und -innen!) ausgestoßen werden - die Fußgänger trauen sich nicht, weil im Ernstfall zu langsam. Und dies geschieht nicht etwa, wie es beispielsweise eine auch nach Dezennien noch nicht vollständig in's finstere Herz Deutschlands integrierte Entität von daheim kennen könnte, in spaßhafter, ja zärtlich liebkosender Weise unter Freunden, sondern in vollem Ernst und mit energischem Nachdruck, mithin in durchaus beleidigender Absicht, seiner womöglich gerechtfertigten, aber zumindest jederzeit zur Eruption bereitliegenden Empörung Luft zu verschaffen.
Jetzt kann man sagen: Gut, ist ja auch irgendwie schön, daß nicht einmal die erwachsenen Leute ihre heilige Erregung noch so in sich hineinfressen, weil dann a) keine Magengeschwüre, also weniger Krankheitskosten, und b-z) emotionale Äußerung immer gut, weil Gefühl etc. bla immer gut. Oder Du sagst halt: So eine Ungezogenheit, gar nicht schön, widerwärtig eigentlich, oder so etwas in der Richtung grober Lackel oder - jetzt paß auf! - Rohling. Merkst? "Rohling". Nicht: "Ver-rohling" oder - Richtersprech z.B. - "ver-rohtes Sobjäkt".
Das ist ganz interessant. Man sieht hier nämlich, daß "grob" und "roh" durchaus etwas gemeinsam haben, nämlich das Unbearbeitete, nachgerade Natürliche - wobei roh deutlich noch natürlicher als grob: Denken wir wieder an's Essen oder fragen den nächstbesten Fruktarier.
Denkt man aber nicht nur an's Essen, sondern auch ein bißchen an Sprache, kommt man drauf, daß "roh" eigentlich nicht sooo besonders auf richtige, also artikulierte und verständliche Sprachäußerungen paßt. Denn eigentlich wären richtig roh nur gutturale Lautausscheidungen, und, so sehr mancher Dialekt dem ungewohnten Ohre solchen Geräuschen oberflächlich ähneln mag, bleiben in ihm getane Äußerungen artikulierte und verständliche und zumeist auch schönere, sogar wohlklingendere als in der sog. "Hochsprache" (remember: ursprgl. unbed. niederdt. Dialekt).
Degoutante Injurien ausstoßen, jemand damit beleidigen und gleichzeitig das eigene Herz antimiasmatisch entlüften kann man in der naturgemäß auch - klingt dann sogar gleich noch viel gemeiner. Aber es handelt sich dabei immer um Grobheiten, weil artikuliert und verständlich - ohne Verständlichkeit ja auch keine Herabwürdigung, Beleidigung etc. -, und nicht um rohe Naturlaute.
Trotzdem halten wir hier stur daran fest, daß die Sache mit der Sprach-ver-ro-hung schon hinkommen und der Ausdruck durchaus guten Sinn (der ebenso wieder mit Bezug auf's Essen erklärt werden mag) haben kann. Um das zu sehen, muß man sich aber vorher ein wenig überlegen, wozu Sprache so normalerweise - also außerhalb der Poesie - da ist und worauf man dann eigentlich vor allem Wert legen sollte. Aber das ist was für einen dritten Advent.
Obwohl man es schon ahnt: Ein grober Lackel, dem es sehr am Herzen liegt, jemanden vermittels einer sprachlichen Äußerung zu beleidigen, und dem dies auch, vielleicht sogar auf Anhieb, gelingt, gebraucht Sprache offensichtlich korrekt -- und noch dazu völlig un-ver-roht.