Sprach-ver-ro-hung: 4. Advent

Eine Heim(er)leuchtung

Also.

Außerliterarisch bzw. -poetisch und schlicht zur zwischenleutlichen Verständigung, sog. "Kommunikation" (nicht: "Diskurs" - das ist etwas vollständig Anderes, Hohes, Geheimnisvolles!), verwendete Alltags- oder Fachsprache ist ein Mittel zum Zwecke der Mitteilung von Sachverhalten, inklusive eigener Befindlichkeiten wie Meinungen, Vorschlägen, Stimmungen, Neigungen und was einem halt noch so durch die Rübe rauscht, von dem man möchte, daß ein anderer oder ganz viele andere es kennen - warum auch immer. Derartiges Alltagssprechen funktioniert also in der Weise des Versendens von Botschaften von irgendwelchem Informationsgehalt (sog. "Daten"), der so klar und deutlich, eindeutig gar, wie möglich erkennbar sein sollte. Deswegen: Außerliterarisch! Literatur mit Botschaften (die man bequem auch per Brief oder Traktat oder Anruf versenden könnte) ist ja ein großer, öder Mist (Ja, auch Brechts Theaterstücke, z. B.).

Diese Erinnerung wird dem hippen Vollrohrmodernpräsenti "in Zeiten wie diesen" (ubiquitär) vermutlich schon sehrsehr romantisch vorkommen. Obwohl der Ausdruck hier in Wirklichkeit naturgemäß gar nicht paßt. Is' aber eh' wurscht. Weil: 

Sprache als Gequatsche: Die Lust an Schallwellen im Raume

Studiert, ja inquiriert man nämlich mündliche und schriftliche Sprachäußerungen in der Öffentlichkeit (und zunehmend auch in beruflichen wie privaten Kollegen- und Bekanntenkreisen) zum hehren und romantischen und naiven und aber sprachadäquaten Zwecke der Informationsgehaltserforschung und - extraktion, gewinnt man mehr und mehr und immer noch mehr folgende Erkenntnis: Der Zweck des Sprachgebrauchs muß sich offenbar arg gewandelt haben.

Es geht gar nicht um die Mitteilung von irgendwas, das entfernt mit einer Information zu tun hat! Vielmehr geht es um das zunächst persönliche und dann womöglich gruppige Vergnügen an selbst, durch die von der Natur dazu vorgesehenen körpereigenen Instrumente erzeugten Schallwellen, die so im Raum herumwandern, - schwirren und - mäandrieren. So daß also die vorhin gehegte "romantische" Erwartung einfach falsch wäre und Kritik an diesem Lustgebrauche "unfair" (D. Trump)!

Könnte vielleicht so sein. Ist aber nicht so. Weil's nämlich keiner zugibt, daß er nur deswegen spricht, weil er halt gern Schallwellen im Raum hat. Also Kritik gerechtfertigt. Jeder oder, sagen wir, die allerallermeisten würden eher von sich behaupten, daß sie schon eher "scho' au' irgendwie" (J. Löw) auf dem Informationsmitteilungsdingstrip seien, also so sprachmäßig. Dann hat man es vielleicht mit einem kollektiv auf Verständnis stoßendem Scheitern an der eigenen Absicht zu tun?

Nochmal: Das Rohe und das Verkochte

Jetzt paß' auf! Achtsamkeit, Wertschätzung und solche Sachen in letzter Zeit sehr supergut. Stimmt auch so. Bassdtscho.

Nur: Kann's vielleicht eventuell nicht sein, daß - wie z.B. spezinell der Deutsche es gern und öfter tut - hier einfach zuviel des Guten gemacht und gewirkt, gewürgt wird??

Daß man jede behauptende Mitteilung von irgendwas (und sei's der eigene Standpunkt) jederzeit zu umgehen, ja: zu umschleichen, oder zuallermindest sogleich wegzurelativieren sucht??

Damit niemand sich dadurch auf den Schlips oder auch nur den eigenen Schatten in finsterster Nacht getreten, vulgo: "verletzt" (nicht genug wertgeschätzt, anerkannt, geachtet ... etc. ad inf.) fühle??

Damit man sich nicht selbst um die Chance bringe, dem freudig zuzustimmen, was der jeweils andere gerne hören möchte, so daß es zuerst mit subtilsten Um- und Beschleichungen darauf ankäme zu erahnen, was denn jene Harmonie der Seligen in allgemeinem Schlummer herbeiführe??

Damit man keinesfalls der Unwahrheit, des Irrtums ebenso geziehen werden könne, indem man sich durch langes sprachliches Ringen und Girlandieren, wuchtig andröhnenden Nichtsdiskurs allen und jeden festhaltbaren Behauptens in's Nirwana des fortwalkenden unendlichen Gequatsches katapultiert??

Weil man meint, die Verschiedenheit von Meinungen, die Alternatitivität von Handlungsvorschlägen, das Bestreiten von Behauptungen um des Wahren oder des Guten willen könnte ja den jeweils anderen in seinen Gefühlen, seiner Persönlichkeit, also seinem Dings allgemein verletzen oder immerhin verschnupfen oder verdrießen, so daß er einen am Ende vielleicht gar nicht mehr oder mindestens nicht mehr so arg lieb hätte, vielleicht auch nicht mehr wähle???

Damit man, weil man im tiefsten Narzissengrunde des eigenen zarten Herzeleins es eigentlich ebenso schon immer gewußt hat, daß jede - scheinbar! - sachliche Einrede, Ablehnung, Kritik, jeder Widerspruch und - vor allem! - jeder Witz in Wirklichkeit als schlimme Verletzung, Beleidigung und Zurücksetzung des eigenen "lieben Selbst" (F. Nietzsche) und seiner höchsteigenen persona gemeint war, ist und ewiglich sein wird, selber auch das beste Recht habe, darauf mit stets positiv zu bewertender "Emotionalität" und von allen "nachvollziehbaren" und also immer guten Gefühlswallungen "traurig, aber auch wütend" (...) zu reagieren und an ausreichend "Schaum vor dem Mund" (F.-W. Steinmeier) es niemals fehlen zu lassen, und es damit recht bequem zu haben???

Ja???? Ist es das??? Ja, dann.

Ja, dann ist der Rest klar. Gell?

Stelle fest: Auch wenn vehement - und womöglich zurecht - bestritten werden möchte (also so ein bißle, so daß keine Kritik ist), daß nur gesprochen wird, weil man gerne selbstgemachte Schallwellen bei sich im Raum hat, ändert das doch nienichts daran, daß - vornehmlich in der Öffentlichkeit - so gesprochen wird, als würde nur gesprochen, weil man gerne selbstgemachte Schallwellen bei sich im Raum hat. Witzigerweise wird meistens gerade von ebenden Leuten so gesprochen, die gerne die generelle Sprach-ver-ro-hung "beklagen" und, gerne kultiviert leicht näselnd (oder sagt man: leicht kultiviert näselnd?), zur Umkehr "mahnen".

Wenn aber so gesprochen wird, hat das entstehende Gequatsche akkurat denselben Mitteilungs- und Informationswert wie das gutturale Gegrunz, Gekeuch und Gehust oder das "Heulen über mehrere Tonstufen" (F. Nietzsche), mit dem unsere Vorfahren den vollständig rohen Anfang der Sprache bestritten haben. War gewiß auch nicht einfach, hier zu einem eindeutigen Verständnis zu gelangen. Wenn's nicht gepaßt hat, hat man's aber gewiß mitgekriegt. Für irgendwas werden die Jungs und Mädels schon die ganze Zeit ihre Keulen mitgeschleppt haben. 

Die totale Verkochung, welche die Sprache durch die um sich greifende Behauptungsbesorgnis erfährt, die selber nicht anderes als die Besorgnis des Sprechers ist, sich selbst ein Blöße zu geben (die Sorge, jemand zu verletzen etc., ist nichts anderes), jene totale Verkochung also, die eine breiige Masse ergibt, die gleichermaßen widrig und "irgendwie scho' au'' (J. Löw) nett schmeckt, hat

folglich keinen anderen Effekt als vollständige Ur-Rohheit. Was die "Sprach-ver-ro-hung" angeht, ist also das Rohe das Verkochte.

Guten Appetit!