Man weiß nicht, warum's einem gefällt: Adalbert Stifter, Der Nachsommer
Erstlektürebefund mit 16 (warum auch immer): Grauenhaft und öde. Zweitlektürebefund mit 22: Toll. Inzwischen der vierte Durchgang: Immer noch toll - und immer noch keine Ahnung, weshalb.
An der Handlung kann's kaum liegen: Passiert ja mehr oder weniger nix.
An den Personen kann's noch weniger liegen: Mit keinem dieser entsetzlichen Bildungs- und Kulturspießer würde man jemals zusammen ein Bier trinken gehen mögen - abgesehen davon, daß die aufgrund allgemeiner kultureller Niedrigkeit des Getränks - wie alle Kultur- und Bildungsspießer trinken die nur Woin (woraus keineswegs folgt, daß alle Ausschließlich-Woin-Trinker solche wären) - vermutlich sowieso keins tränken. Obwohl der Stifter - das sei zu seiner unendlichen Ehre gesagt - es heiß und innig liebte.
Wird's halt an der Sprache liegen. Sie ist von einer derart erlesen künstlichen Natürlichkeit, daß es einem Schauer über den Rücken jagt. Niemand hat jemals so gesprochen, spricht so und wird, so GOtt will, so auch nicht sprechen. Und man versteht bei der Lektüre, die man gar nicht anders kann, als gnadenlos bis zum, naturgemäß völlig unspektakulären, Ende geadezu zwanghaft durchzuziehen, warum der Rock'n'Roll kommen mußte.
Deswegen eine Innovation:
Auf Wiederhören #1: Black Sabbath, Heaven and Hell (1980)
Man kann von den großartigen frühen (und ganz späten) Platten dieser (neben Iron Maiden, Blue Öyster Cult und Lynyrd Skynyrd) allergroßartigsten Kapelle des Universums mit Hrn. Osbourne halten, was man mag: Singen konnte der Mann - so gut sein Quakgegrein auch paßt - eigentlich nicht besonders. Deswegen sind die Herren Iommi, Butler und Ward mit einem Hrn. Dio (vormals Rainbow) nachgerade eine Offenbarung, weil sie erst dann wirklich zeigen konnten, wozu sie kompositorisch im Stande waren.
Klar, Düsternis, ja latente Gefährlichkeit gibt's nach wie vor. Nun aber kommt eine Qualität hinzu, die man nicht mehr anders als "anrührend" bezeichnen kann. Und das gilt für die ganze Platte.
Von Anfang bis zum Ende weiß man gar nicht, worauf man eigentlich zuerst hören soll: Die monumentalen Riffs, die zugleich gelegentlich, wenn's halt in des Meisters Absicht lag, sakrale Transzendenz erreichen?
Die Soli, in die man sich geradezu hineinsetzen möchte und von denen man sich wünscht, daß sie noch ausführlicher sein möchten - obwohl sie naturgemäß gerade so lang sind, wie sie sein sollen?
Den gezupften Zauberbass, der ganz nach Belieben bombt, treibt und zarteste Melodien spielt?
Das Schlagzeug, bei dem man sich stets fragt, wie es möglich sein soll, gleichzeitig derart wuchtig und entspannt aus dem Handgelenk zu klingen?
Der Gesang, der trotz seiner vollkommenen löwenhaften Natürlichkeit schier übermenschliche Größe erreicht - ohne sich je im Fach zu vergreifen und kasperleopernhaft zu knödeln?
Eben, kann man nicht entscheiden. Deswegen ist es ja auch so praktisch, daß das alles gleichzeitig passiert. Und zwar in einem Klang, den Hr. Birch vorher (z.B. Purple) und nachher (insb. Maiden) so nicht mehr hingezaubert hat - aller Wahrscheinlichkeit nach, weil er ob der Einzigartigkeit der Platte schlicht nicht wollte.
Gut, daß es diese Platte gibt, und überlebenswichtig, was die geistige, ja gar seelische Gesundheit betrifft, wenn man Sachen wie den Nachsommer liest und merkt, daß sie einem gefallen.