Selbstbewußtsein ist ja grundsätzlich etwas sehr Schönes.
Und beim Vollzug einer sogenannten "beruflichen Karriere" ist es gewiß gänzlich unerläßlich, also zumindest relativ notwendig - und also schon nicht mehr schön (aber das nur am Rande). Es gilt also: Hauptsache man hat es, aus welchen Gründen auch immer oder meinetwegen auch ohne jeden Grund; das ist für Karrierezwecke vollkommen wurscht. Bassddtscho. Solange halt eine gewisse fremdmagenfreundliche Selbstbewußtseinszurückhaltung geübt wird, so was wie Anmut, Dezenz, Eleganz, irgendwas in der Richtung eben, das einen nicht zum entstellenden Doppelaugenbrauenlupfen zwingt.
Erinnerung und Interessantheit -- Wichtiges und Unwichtiges, oder: Literatur und Schurrnalismus
Angelegentlich der schon enorm erstaunlichen Erkenntnis, das sich wegen der ganz verschiedenen Leseeinstellung auf Papier Gedrucktes irgendwie besser einprägt und merken läßt als auf Bildschirmen Herumflimmerndes, erfährt man im einschlägigen Artikel der heutigen Sonntagszeitung unter anderem auch, daß es zur Erringung eines Hospitantenplatzes - was immer man da auch machen oder nicht machen soll - bei derselben von Vorteil ist, regelmäßig die - und zwar offenkundig ebengenaudie - Zeitung zu lesen. Das überrascht keineswegs.
Überraschen tut schon eher, daß sich während eines Vorstellungsgesprächs herausstellt, das die entsprechende Behauptung einer gewiß in irgendeiner akademischen Ausbildung - drunter es zu tun, könnte ja nicht einmal gedacht werden - befindlichen Kandidatin als unerweislich sich herausstellt. Denn das arme Mädchen bestätigte zwar eifrig die erhoffwartetwünschte Lektürenachfrage, konnte sich jedoch - Schockschwerenot! - an keinen der angeblich gelesenen Artikel erinnern. Das läßt sich einerseits als Beleg für die erfrischende Naivetät bei gleichzeitig vorhandenem donnerndem Selbstbewußtsein unserer karrierefreudigen Jugend verstehen, andererseits aber, da die Unglückliche ihre Zeitung am Bildschirm anschaut, noch viel besser als Evidenz für die Erinnerungsfeindlichkeit von Flimmertexten. Schließlich, so das Argument, könne es ja kaum sein, daß in einer ganzen Sonntagszeitung kein einziger "interessanter" Artikel drinstehe!
Wir merken: Der Erinnerung wert oder würdig oder wenigstens solche auslösend ist dasselbe wie interessant. Ganz abgesehen davon, daß "interessant" ein ganz besonders unglückseliger, nichtssagender, geradezu Desinteresse signalisierender Ausdruck ist - vergleichbar in etwa mit dem noch schlimmeren, schwerstintellektuellen "spannend" -, und weiterhin unbeachtlich der ohnehin eingeräumten Subjektabhängigkeit des ganzen, scheint doch bei dieser Gleichsetzung ein mittelschweres Miß- und Selbstmißverständnis unserer Schurrnalisten vorzuliegen, das indes immerhin wiederum von massivem Selbstbewußtsein zeugen mag.
Auf einer ganz ähnlichen empirischen Basis (Selbstbeobachtung) schaut es nämlich in Wahrheit so aus: Selbst wenn man den Luxus einer allmorgendlichen eineinhalbstündigen Zeitungslektüre genießt, braucht es keineswegs zu verwundern, wenn man sich nach deren Beendigung an rein gar nichts mehr erinnert, keine feinziselierten Formulierungs- oder Argumentationsgänge, keine sachlichen Details, erst recht schon gar überhaupt keine Verfasser, allenfalls sehr duster und grob ein paar Themen.
Neben dem höchst individuellen Grund, daß auch ausgedehnte Zeitungslektüre vordringlich zur Aufwachhilfe dient, hat das den eher allgemeinen Grund, daß man eine Zeitung gar nicht liest, um sich daran zu erinnern. Man liest sie - grob gesagt -, um sie wegzuschmeißen, wenn sie ausgelesen ist.
Trotzdem liest man, außer man ist ein Monster an eingebildeter Pflicht (oder einer sublimen Form von Geiz), naturgemäß nur die Artikel, die einen halbwegs interessieren. Deswegen kann es sehr gut sein, daß man auf einmal zu irgendeinem tagesaktuellen Thema Sachen weiß, wenn zufällig das Gespräch darauf kommt, ohne so genau zu wissen, woher man sie weiß - man halt die Zeitung gelesen. Umgekehrt aber kann es genausogut oder noch viel besser sein, daß man wenig bis überhaupt nichts zu sagen weiß, wenn man gefragt wird, was denn heute oder gar vor einer Woche - dies Begehr erscheint ganz evident lächerlich - in der Zeitung gestanden hat.
Derartige Erinnerung wäre zu erwarten von Texten, die einen - praktisch geistig, verstehen'S? - bewegen, von oder mit denen man lebt, arbeitet usw., also schöner oder fachlicher Literatur. Aber doch nicht von Artikeln in der Zeitung!
Das zu glauben, zu erwarten oder zu verlangen (evidente Ausnahmen: Zeitungshospitanzkandidaten, Schurrnalisten etc.), heißt schlicht, das, was in der Zeitung steht, mit dem zu verwechseln, was in schönen oder wissenschaftlichen oder ähnlichen Büchern oder Zeitschriften steht. Das schreiben Schurrnalisten - Dem Himmel sei's getrommelt und gepfiffen! - aber gar nicht, und sie sollen es auch auf gar keinen Fall. Sonst könnte man die Zeitung ja auch nicht mehr lesen.